Methode ''Theaterübungen zu Zivilcourage''
Theaterformen
Solltest du keine Erfahrung mit den beschriebenen Theaterformen haben, ziehe eine Person mit Erfahrung hinzu!
1. Standbilder/Denkmalbau
Ein „Regisseur“ versucht, ein stehendes Bild aus „lebenden Personen“ aufzubauen. Dabei können sowohl als problematisch empfundene Situationen aus dem persönlichen, gesellschaftlichen oder politischen Bereich nachgebaut werden, als auch Wunschbilder oder Übergangsbilder, die das Zwischenstadium vom Ist-Zustand zum Wunschzustand verkörpern (zum Beispiel „meine Erfahrungen mit Gewalt“). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Begriffe darzustellen, zum Beispiel „Politik“ oder „Militär“. Diese Methode eignet sich, um Gesprächsprozesse oder langwierige Diskussionen aufzubrechen und ihnen eine neue Dynamik zu verleihen.
(Aus: Gugel, Günther: Praxis politischer Bildungsarbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen 1993, S. 284)
2. Statuentheater
Ziel:
- Die Widersprüche der Realität darstellen, Handlungsperspektiven suchen, Schritte der Veränderung entwickeln;
- eigene Erfahrungen aufgreifen, gemeinsam bearbeiten und diskutieren;
- thematisieren welche Gefühle Menschen als Opfer, TäterInnen, MitwisserInnen, ZuschauerInnen oder auch als Einschreitende in Unterdrückungssituationen und Machtpositionen haben können;
- Denken in Bildern und das Einfühlen in Situationen und körperliche Erfahrungen fördern. Bedingungen
- Zeit: Zeitdauer nach angewandter Spieltechnik, mindestens 1 Stunde
- TeilnehmerInnen: Seminargruppe, bis zu 7 Personen in Kleingruppen
- Raum: Viel freie Spielfläche
- Material: Fotoapparat
Ablauf:
Das Statuentheater ist eine von Augusto Boal entwickelte Form des pädagogischen Theaters. Schauspieler und Zuschauer lernen, entdecken, erfinden und entscheiden hier gemeinsam.
- Aufwärmübungen sind wichtig, um auf die kollektive Regie vorzubereiten, die mit Anfassen, Zurechtrücken verbunden ist. Statuentheater eignet sich auch gut, um Forumtheater vorzubereiten.
- Es sollte möglichst wenig diskutiert und möglichst oft ein direkter körperlicher Ausdruck gewählt werden (Formen).
- Je abstrakter (unkörperlicher) das Thema des Statuentheaters ist, desto schwieriger ist die Umsetzung und desto größer die Gefahr der Banalisierung.
- Es reicht oft nicht aus, eine Situation naturalistisch nachzustellen. Der Körperausdruck muss übersteigert werden, um auch symbolische Bedeutung aufnehmen können.
- Das Ergebnis sollte wenn möglich fotografiert werden.·
- Auf die Stimmung der Gruppe achten: wenn das Interesse nachlässt, neue Variante ausprobieren oder abbrechen.
Statuen bauen
Beim Statuentheater wird ein Begriff, ein Interessenskonflikt, eine Unterdrückungssituation etc. benannt und als Statue mit lebenden Körpern gestellt. Dabei geht es zunächst darum, das eigene Bild darzustellen, das man sich von der Realität macht (Realbild). Anschließend soll ein Wunsch dargestellt werden, das Idealbild, was man sich macht. Mit Hilfe von einzelnen Übergangsbildern wird versucht herauszufinden, mit welchen Schritten die Wirklichkeit konkret verändert werden könnte. Für den genauen Spielverlauf können verschiedene Varianten gewählt werden, die auch aufeinander aufbauen können:
Erste Statuen bauen in Dreiergruppen (zur Einführung):
Jeweils zwei BildhauerInnen formen eine Person zu einer Statue zu einem bestimmten Begriff (z.B. PolitikerIn, Arbeitslose/r, Traurigkeit etc.), ohne sich verbal abzusprechen.
Ein Thema mit dem eigenen Körper darstellen:
Es werden Gruppen von ca. 4 – 5 Personen gebildet, die kurze Bedenkzeit erhalten, um dann gemeinsam vorher abgesprochene Begriffe darzustellen (z.B. Kirche, Polizei, Ausländerbehörde, Gewerkschaft). Das jeweilige Standbild wird den anderen Gruppen kurz präsentiert.
Ein Thema mit anderen TeilnehmerInnen darstellen:
Eine Person verwendet die anderen TeilnehmerInnen als Statuen, das heißt, er oder sie, stellt die Gruppe als Bild zu einem vorgeschlagenen Thema zusammen (z. B. Abend in der Familie, Streik im Betrieb). Dafür werden die Haltungen der TeilnehmerInnen bis zum Gesichtsausdruck gestaltet. Der Bildhauer / die Bildhauerin stellt seine bzw. ihre Sicht auf die Realität dar; wenn das Bild fertig ist, dürfen nach und nach alle anderen Veränderungen einbringen (durch Umstellen, nicht durch Reden!), so lange, bis ein Bild gefunden wird, das für alle passt.
Übergangsbilder in Zeitlupe:
Die TeilnehmerInnen werden in zwei Gruppen geteilt, die abwechselnd SpielerInnen und BeobachterInnen sind. Die spielende Gruppe stellt erst das Realbild, dann das Idealbild dar. Anschließend können einzelne BildhauerInnen ihre Vorstellung von möglichen Übergangsbildern zeigen. Wenn die TeilnehmerInnen mit der Lösung zufrieden sind, gehen die SpielerInnen zurück in die Ausgangsposition und wiederholen die Übergangsbilder im Zeitlupentempo.
Aktive Statuen:
Die TeilnehmerInnen stellen einen Konflikt/eine Unterdrückungssituation als Standbild dar, in dem sie eine Weile verharren. Sie fühlen sich in die jeweils dargestellte Figur ein und entwickeln aus der eingenommenen Haltung einen Satz, der die Stimmung und Intention deutlich werden lässt. Anschließend verändern sich die Statuen zu einem Idealbild, die "Unterdrückten"/ "Unterlegenen" agieren zuerst, die „UnterdrückerInnen“ reagieren darauf. Aus diesem Standbild heraus sprechen wieder alle jeweils einen Satz, der dieser neuen Situation aus ihrer Sicht entspricht. Danach kann (mehrfach) wieder in das Realbild zurückgegangen werden und eine andere Person mit einer Veränderung beginnen, auf die die TeilnehmerInnen nach und nach einsteigen. Themen könnten sein:
- eine Auseinandersetzung zwischen zwei PartnerInnen
- eine sexuelle Belästigungsszene im Betrieb (Achtung: muss insbesondere in gemischtgeschlechtlichen Gruppen sensibel umgesetzt werden)
- ein Vorstellungsgespräch zwischen einer Migrantin und dem Personalchef
Auswertung
Die Art der Auswertung ist abhängig von der gewählten Spielform. Grundsätzliche Fragen können sein:
- Wie wurde das Formen und Geformt-Werden erlebt?
- War es leicht oder schwer gemeinsame Real- und Idealbilder zu finden? Weshalb? :: Worin lagen die Unterschiede zwischen den Darstellungen?
- Wie wurde der Veränderungsprozess der Bilder wahrgenommen?
- Welche der dargestellten Handlungsmöglichkeiten haltet ihr für realistisch?
Weiterführende Literatur: Boal, Augusto (1989): Theater der Unterdrückten, Frankfurt / M.
3. Forumtheater
Ziel
- Thematisierung alltäglicher Unterdrückungssituationen,
- Erprobung von Handlungsmöglichkeiten – „Probe auf die Zukunft“ (Boal),
- Diskussion der gesellschaftlichen Bedingungen, die Unterdrückung zugrunde liegen.
Bedingungen
- Zeit: mindestens 3 1/2 Stunden
- TeilnehmerInnen: 8 bis 30 (bei 30 TeilnehmerInnen drei Kleingruppen und mehr Zeit einplanen)
- Raum: ein größerer Raum (15m2); weitere Räume je nach Anzahl der Kleingruppen
- Material: Stifte und Papier in verschiedenen Größen, einfache Requisiten
- Voraussetzungen: Erfahrungen in der Rollenspielarbeit sowie Kenntnisse der Methoden des „Theater der Unterdrückten“. Das Forumtheater wurde von dem brasilianischen Theatermacher Augusto Boal als eine Form des „Theaters der Unterdrückten“ entwickelt
Ablauf
Vorbereitung
Vorstellung des „Theater der Unterdrückten“, des Forumtheaters und der Möglichkeiten dieser Methode, „Alltägliche Diskriminierung“ sichtbar und diskutierbar zu machen. (ca. 15 Minuten) Kurze Aufwärm- und Theaterübungen (ca. 20 Minuten)
Gruppenaufteilung und Szenenfindung: Je nach Gruppengröße werden in der Gesamtgruppe oder in Kleingruppen eigene Erfahrungen zum Thema „Alltäglicher Rassismus“ ausgetauscht. TeamerInnen sollten darauf hinweisen, dass insbesondere subtile Formen von Rassismus benannt werden sollen. Die TeilnehmerInnen werden gebeten, sich an Situationen zu erinnern, in denen sie Rassismus beobachtet haben oder selbst involviert waren. Wie haben sie sich verhalten? Wie haben sich weitere Anwesende verhalten? Eine geschilderte Situation wird ausgewählt und für eine Aufführung im Plenum ausgearbeitet. (ca. 40 Minuten)
Die Arbeit an der Szene (mind. 45 min.)
1. Die Szene sollte so aufgebaut sein, dass schnell der Handlungsort und die Beziehungen der Personen zueinander deutlich werden.
2. Der Konflikt/die Unterdrückungssituation sollte klar umrissen werden. Das Ende der Spielszene sollte unbefriedigend bleiben (machtlose Person bleibt machtlos).
3. Mindestens ein/e SpielerIn bleibt in ihrer Haltung zum Konflikt widersprüchlich, um das spätere Einwechseln zu erleichtern. Die ambivalenten Personen bieten besondere Handlungsmöglichkeiten, da ihr Verhaltensrepertoire besonders groß ist. Ziel ist es, verschiedene Impulse einzubringen; auch zu merken, wie schwierig es ist, Ideen umzusetzen.
4. Die Szene hat ein klares Ende: Die SpielerInnen erstarren bei dem Aussprechen eines vereinbarten Stichwortes.
Aufführung und Auswertung (mind. 45 min.)
Die Szene wird vor der Großgruppe gespielt. In einem zweiten Durchgang haben die ZuschauerInnen die Möglichkeit Personen einzuwechseln, indem sie an der Stelle der Szene „Stop“ rufen, an der sie eine Handlungsidee haben. Sie dürfen dabei den Charakter / die Haltung der Rolle, die sie ersetzen, nicht völlig verändern.
Es gibt jedoch einen Verhaltensspielraum, der genutzt werden kann. Die anderen SpielerInnen gehen nun spontan mit der neuen Situation um und bemühen sich, „ihre Rolle“, d. h. ihre Haltung zu dem Konflikt beizubehalten. Nach jedem Einwechseln und Einbringen von neuen Ideen wird über die Szene gesprochen. Zuerst die Person, die eingewechselt hat. Welche Strategie hat sie? Ist der Plan aufgegangen? Die anderen SpielerInnen äußern sich der Reihe nach, wie sie sich in „ihrer Rolle“ gefühlt haben, und ob wie sie angesprochen wurden durch die Veränderung. Dann beginnt eine zweite Auswertungsrunde in der die SpielerInnen – ihrer Rolle enthoben – sowie die ZuschauerInnen sich zum Inhalt äußern können. Danach beginnt der nächste Spieldurchlauf.
Auswertung (ca. 45 Minuten)
Die Abschluss-Auswertung kann dadurch eingeleitet werden, dass die ZuschauerInnen befragt werden, ob sie den Inhalt der Szene realistisch finden, ob sie Ähnliches erlebt haben, wie sie sich verhalten haben, ob sie nun Handlungsmöglichkeiten für sich selbst sehen. Eine weitere Ebene ist die Diskussion über den Zusammenhang zwischen alltäglich erfahrbarer Diskriminierung und ihrer strukturellen und gesellschaftlichen Verankerung. Fragen können z. B. in die Richtung gehen, was sich ändern muss, damit sich solche Situationen erst gar nicht ereignen.
Hier ein Beispiel von einer Szene
Ort: Krankenhaus/Information
Szene: Zwei Frauen nähern sich der Information. Eine der Frauen (A) wird von der anderen (B) aus dem Krankenhaus abgeholt. Die Frauen führen eine vertraute Unterhaltung.
A wendet sich nun an C, eine Krankenhaus-Mitarbeiterin, die an der Information arbeitet. In freundlichem, aber einem bestimmten Ton bittet A
C, ein Taxi zu rufen mit dem Nachsatz, dass es sich bei dem Taxifahrer bitte um keinen ausländischen Taxifahrer handeln solle. C, verärgert, sagt, dass sie gerne ein Taxi bestellen wolle, jedoch ohne den Zusatz. Sie weigert sich, der Taxizentrale den Wunsch mitzuteilen.
A wird wütend. Wieso mischt sich die Krankenhaus-Mitarbeiterin in ihre Angelegenheit ein?! Sie zahlt das Taxi, sie hat schließlich schlechte Erfahrungen mit ausländischen Taxifahrern. B hält sich zurück. Ihr ist das Auftreten von A unangenehm, weil zu laut, … A fordert, die Vorgesetzte / den Vorgesetzten von C zu sprechen. C bleibt bei ihrer Position! Die Vorgesetzte / der Vorgesetzte D kommt hinzu und bittet C ruhig und bestimmt, A das Taxi zu rufen und dem Wunsch der Frau zu entsprechen. C wirkt traurig, ohnmächtig! C hält den Telefonhörer in der Hand! Freeze – Das Ende der Spielszene!
Tipps für TeamerInnen
Die Anleitung muss sehr präzise sein, Kenntnisse der Methode Forumtheater sind Voraussetzung für den Einsatz. Sonst besteht die Möglichkeit, statt des Forumtheaters ein Rollenspiel mit mehr Vorgaben anzubieten; z.B. nach o.g. Beispielszene. An der Szene können durch Rollenwechsel und Einwechseln Handlungsmöglichkeiten erprobt und diskutiert werden. Wichtiger als die Spielszenen-Aufführung ist die Erarbeitung der Szene, die Verständigung über das Thema, die Rollenarbeit, der Gruppenprozess und das Klären der Frage, welche Erwartungen mit einer Aufführung verbunden sind. Welche Diskussion möchte die Gruppe mit den ZuschauerInnen führen? Insbesondere die Diskussion über die gesellschaftspolitische Relevanz der Szene ist wichtig. Wenn mehrere Kleingruppen Szenen erarbeitet haben, kann nur eine Gruppe ihre Spielszene aufführen mit Einwechseln und Diskussion. Alle anderen Kleingruppen sollten die Möglichkeit haben, wenigstens ihre Ergebnisse vorzustellen. Das Forumtheater bietet sich auch an für Gruppen, die über einen längeren Zeitraum miteinander aktiv sein möchten. Die Gruppe kann die Spielszene an verschiedenen Orten aufführen. Von der Entwicklung allzu plakativer alltagsferner Szenen, bei denen Klischees bedient werden, ist abzuraten. Hierauf sollte gleich zu Anfang der Szenenentwicklung hingewiesen werden.
Literatur:
Augusto Boal (1989): Theater der Unterdrückten, Frankfurt/M.