„Geh-Denken“ für die NS-Opfer von Gunskirchen
Die Gräueltaten des Naziregimes und die unzähligen Opfer nicht vergessen und zugleich Freiheit, Demokratie und Menschenrechte feiern. Das ist die Intention der jährlichen Gedenkfeiern im Mai, bei denen auch die Katholische Jugend (KJ) Oberösterreich eine wichtige Rolle einnimmt. Sie lud am 14. Mai 2022 bereits zum zweiten Mal zum „Geh-Denken“– zu einem Gedenkmarsch von Wels nach Gunskirchen – ein. „Wir geh-denken dabei der Opfer, die den Weg und das Lager nicht überlebt haben, und auch der Überlebenden. Wir wollen wertschätzend geh-denken und niemanden ver- oder beurteilen. Es geht darum aufzuzeigen, was war – in dem Wissen, dass es nie wieder geschehen darf“, so die Projektverantwortliche Ela Klein von der Katholischen Jugend OÖ.
Die Idee zur Veranstaltung entstand im Oktober 2020, als einige Jugendliche und junge Erwachsene an einem Abend im Schloss Puchberg Augenzeugenberichte und Erinnerungen von Überlebenden vorlasen. „Die Lesenden im Alter von 16 bis 23 Jahren waren von Anfang an berührt von den Schicksalen dieser Menschen, die in ihrem Alter ein so ganz anderes Leben mit ungewisser Zukunft hatten. Bei der Heimfahrt entstand die Idee, in Erinnerung an diese Menschen die letzten Kilometer von Wels ins KZ-Außenlager Gunskirchen zu gehen“, erinnert sich Ela Klein. 2021 gab es das erste „Geh-Denken“, das nun jährlich stattfinden soll.
Den Opfern ihre Namen und ihre Würde zurückgeben
Am 14. Mai 2022 um 6.30 Uhr machten sich 12 Teilnehmende von der Eishalle Wels auf den Weg nach Gunskirchen – auf weiten Strecken schweigend und mit „Gedenk-Stationen“ auf dem Weg. Die Jugendlichen trugen dabei Bänder mit Namen, die von der Historikerin Angelika Schlackl zur Verfügung gestellt wurden. Diese stammen von Häftlingsnummern, eingraviert auf 31 Häftlingsmarken, die 1979 bei der Exhumierung am Gelände des KZ-Außenlagers Gunskirchen gefunden wurden. „Unter der NS-Herrschaft wurden die Opfer abgewertet, benutzt und gequält. Sie waren nur eine Nummer: eine Nummer auf ihrer Haut, eine Nummer auf der Häftlingsmarke und eine Nummer in einer Liste – in einer Bestandsliste des Grauens. Doch sie hatten Namen, sie hatten Familien, sie hatten Hausnummern, sie hatten Kontonummern – denn sie waren Menschen. An diese Menschen möchten wir erinnern, wir möchten ihre Namen bewahren und an sie denken, wenn wir einen Teil ihres Lebensweges in Erinnerung an sie gehen“, erklärt Ela Klein die Bedeutung der Namensbänder.
Die jungen Menschen erhielten die jeweilige Biografie zu ihrem Namensband und waren eingeladen, zunächst in Stille beim Gehen durch den Wald dieser Person zu gedenken und ihr so ein Stück Würde zurückzugeben. Danach stellten die Gehenden in Kleingruppen einander die Biografien vor und tauschten sich darüber aus. Fabian Hofer, Ehrenamtlicher Vorsitzender der KJ OÖ: „Uns war bewusst, dass wir diesen Weg in gutem Schuhwerk und mit passender Kleidung gehen. Wir konnten uns eine Jause mitnehmen und vor dem Weggehen den Wetterbericht am Handy checken – kein Vergleich zum Weg der Häftlinge damals. Wir können diese Zeit nicht verändern – doch durch unser Erinnern, können wir uns bewusst machen, wie wir heute unser Leben gestalten wollen, welche Werte wir vertreten, wofür wir stehen, einstehen, vielleicht auch aufstehen. Wir können entscheiden, welche Wege wir gehen – und so das Gesicht dieser Welt und unsere Geschichte gestalten.“
Teilnahme an der Befreiungsfeier
Die letzten Meter legten die Jugendlichen und Erwachsenen direkt neben der Bundesstraße zurück. Beim Denkmal an der Bundesstraße schlossen sie sich dem „Walk of Solidarity“ zum Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Gunskirchen an. Dort fand bei den Beton-Überresten einer Baracke um 10.30 Uhr die Befreiungsfeier statt, die jährlich vom Mauthausen-Komitee in Kooperation mit lokalen Initiativen veranstaltet wird. Zum Gedenken an die Opfer und zur Befreiung des KZ-Außenlagers kommen jährlich KZ-Überlebende mit ihren Verwandten und Nachkommen, Jugendliche, Mitglieder des Comité International de Mauthausen, der Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen sowie des Mauthausen Komitees Österreich auf dem ehemaligen Lagergelände zusammen.
Einer der Redner war Schriftsteller Robert Schindel, der 1944 als Kind jüdischer Widerstandskämpfer in Bad Hall auf die Welt kam. Seine Eltern hatten sich als Fremdarbeiter getarnt. Sein Vater wurde im KZ Dachau ermordet, seine Mutter überlebte die KZ Auschwitz und Ravensbrück. Der Holocaust nimmt in den Werken des Schriftstellers Robert Schindel eine zentrale Rolle ein, etwa in seinem Roman „Gebürtig“, der auch verfilmt wurde.
Die Teilnehmenden des „Geh-Denkens“ brachten bei der Gedenktafel beim ehemaligen Haupteingang ihre mitgetragenen Namensbänder an – als Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens. „Besonders berührend war, dass Daniel Chanoch, einer der letzten Überlebenden des KZ-Außenlagers Gunskirchen, bei der Gedenkfeier anwesend war. Trotz seiner 91 Jahre ist er aus Israel zum Gedenken angereist“, schildert Ela Klein. Glaube, Hoffnung und Solidarität haben Daniel Chanoch das Grauen des Nationalsozialismus und sechs Konzentrationslager überleben lassen. Was er erlebt und erlitten hat, beschreibt der Zeitzeuge im Buch „Erzählen, um zu leben“, das vom Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) vom Hebräischen ins Deutsche übersetzt und in der Schriftenreihe des MKÖ „edition mauthausen“ herausgegeben wurde.