Zivilcourage-Training
Es ist ein grauer und kalter Samstag-Vormittag mitten im November. Ein leichter Nebel lagert in den Straßen von Linz und niemand mag erahnen, was sechs junge Erwachsene an einem solchen Tag aus den Betten heraus und in die Räumlichkeiten des Grünen Ankers zieht. Auch sie selbst haben nur vage Vorstellungen von dem, was sie in den kommenden Stunden erwarten wird und hätten wohl nie gedacht, bereits eine knappe Stunde später eng aneinandergereiht auf einer schmalen Felswand zu stehen, wo ihnen zu beiden Seiten ein Sturz in tausend Meter Tiefe droht, vor dem sie sich nur durch absolutes Vertrauen, Überwinden etwaiger Berührungsängste, gegenseitige Unterstützung und vollkommene Selbstlosigkeit retten können.
Viel „Mut zum Handeln“ ist in einer Gemeinschaft von Nöten. Das haben wir, die Teilnehmenden des Zivilcouragetrainings 2021, bereits nach wenigen Minuten des ersten Trainingsblocks erfahren. Mut, sich für andere einzusetzen, ohne dafür unbedingt eine Gegenleistung zu erwarten. Mut, anderen zu vertrauen und selbst Vertrauen zu vermitteln. Mut, für etwas aufzustehen, selbst wenn es anfangs aussichtslos erscheint. Das bedeutet „Zivilcourage“.
Und genau das durften wir bei Margit und Flames in diversen Übungen und Spielen auch erfahren. So schuf jenes erste Spiel, bei dem wir uns auf einer schmalen Bank stehend in einer bestimmten Reihenfolge aufstellen sollten, ohne dass dabei jemand hinunterfällt, bereits eine derart starke Vertrauensbasis, dass wir in den nachfolgenden Stunden den Mut dazu aufbrachten, eigentlich völlig fremden Menschen privateste Probleme anzuvertrauen und über diese offen zu sprechen.
Dass es notwendig ist, auch für sich selbst mutig zu sein, veranschaulichten wir in kleinen, beispielhaften Szenarien, in denen wir gemeinsam auf spielerische Weise Lösungsvorschläge für unsere „Probleme“ erarbeiteten. Um nämlich erst für andere da sein zu können, darf man sich selbst nicht vernachlässigen. Passend dazu diskutierten wir über das Thema „Komfortzonen“ und wann und wo es notwendig ist, die eigene Wohlfühlzone zu verlassen.
Zum Zusammenleben mit anderen Menschen gehört auch, sich mental zu unterstützen, sich zu loben und Komplimente zu machen und so riefen wir uns in einer weiteren Übung die zwar recht poetischen, doch eigentlich schönsten Kosenamen zu. Dafür braucht es auch erst einmal einiges an Mut, sich gegenseitig als „immergrünes vierblättriges Kleeblatt“, als „Rose meines Herzens“ oder als „in der Morgensonne erwachender Schmetterling“ zu bezeichnen.
Schlussendlich den Mut zu haben, sich für etwas einzusetzen, das nicht nur dem engen Umfeld nützt, sondern der gesamten Gesellschaft, der Gesamtheit an Lebewesen, war vor allem Thema des zweiten Tages, an dem uns nach gemeinsamem Frühstück Maria besuchte, eine junge Frau, die sich unter anderem auch auf politischer Ebene für Klimaschutz, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit einsetzt und mit der wir eine äußerst inspirierende Diskussion führten, bevor wir uns schließlich wieder auf den Heimweg begaben. Alle mit einem Funken der Hoffnung und des Mutes in unserer Brust und einer aufblühenden Rose in unseren Herzen.
Jakob Schreibelmayr
Linz, November 2021