72 Stunden ohne Kompromiss“2021
„72 Stunden ohne Kompromiss“ ist ein Projekt der Katholischen Jugend in Zusammenarbeit mit youngCaritas und Hitradio Ö3. Zum zehnten Mal in der Geschichte der größten Jugendsozialaktion Österreichs haben sich von 13. bis 16. Oktober 2021 etwa 550 oberösterreichische Jugendliche ins Zeug gelegt, um die Welt ein bisschen schöner zu machen. Sie haben unter dem Motto „Wir mischen mit!“ u. a. Gärten verschönert, Räumlichkeiten von Jugendzentren einen neuen Anstrich verpasst, eine Mittagstafel für obdachlose Menschen organisiert, Nistkästen für Singvögel gebaut, mehrsprachige Erklär-Videos für die Sozialberatung der Caritas gedreht, mit Kindergartenkindern Musikinstrumente gebaut, eine Radiosendung zum Thema „Armut“ gestaltet, einen Jubiläums-Flashmob auf die Beine gestellt und vielen Menschen ihre Zeit geschenkt. Bei alldem haben sie die Erfahrung gemacht, dass soziales Engagement doppelt bereichert: Die Unterstützten freuten sich über die Hilfe, die Jugendlichen profitierten von einzigartigen Begegnungen und Erfahrungen.
Unter den Jugendlichen sind zahlreiche „Wiederholungs-TeilnehmerInnen“ – und viele waren so begeistert von den „72 Stunden ohne Kompromiss“, dass sie auch nächstes Mal wieder mitmachen möchten. „Bei 72 Stunden ohne Kompromiss hab‘ ich die Möglichkeit bekommen, selbst mitanzupacken. Über gute Dinge zu reden ist schön, aber selbst aktiv zu werden ist viel besser!“, erklärt Helena ihre Motivation, warum sie auch heuer wieder bei „72 Stunden ohne Kompromiss“ mitgemacht hat. Für Jugendliche, die das erste Mal dabei waren, war es „spannend, sich einer neuen Situation zu stellen und mal etwas ganz anderes abseits vom normalen Schulalltag zu machen“, wie Maximilian berichtet.
Begegnung mit neuen Lebenswelten
Bei den Projekten kamen die Jugendlichen mit Lebenswelten in Berührung, die ihnen sonst eher fremd sind. Sie begegneten älteren Menschen, Menschen mit Beeinträchtigung und ehemals obdachlosen Menschen – und brachten viel Freude in den Alltag der Menschen. Umgekehrt wurden sie selbst durch neue Erfahrungen und Einsichten bereichert. Projektkoordinatorin Judith Zeitlhofer: „Bei meinen Besuchen in einzelnen Projekten war es berührend zu erleben, wie gut sich die Jugendlichen auf ihr Gegenüber einlassen konnten und wie achtsam sie mit älteren Menschen und Menschen mit Beeinträchtigung umgegangen sind. Umgekehrt war spürbar, wie sich diese Menschen über die Begegnung mit jungen Menschen gefreut haben – und darüber, dass solche Besuche überhaupt wieder möglich sind!“
In den Caritas-Einrichtungen invita in Engelhartszell und in St. Pius in Steegen freuen sich die BewohnerInnen nach den „72 Stunden ohne Kompromiss“ über eine Gartenverschönerung. Die BewohnerInnen der Caritas-Wohngemeinschaft invita in Neukirchen am Walde können im kommenden Jahr Gemüse anpflanzen, das durch einen neuen Folientunnel geschützt ist. Für das Seniorenwohnhaus Karl Borromäus der Caritas in Linz bauten die Jugendlichen mit Hilfe von Bewohnern am Hartlauerhof in Asten neue Nistkästen und Insektenhotels. Auch in der Lebenshilfe Unterweißenbach entstanden Saatgut-Tauschhäuschen, Bienenweiden und sogenannte „Insektenchalets“. Im Seniorenwohnheim der Caritas in Bad Hall wurden Hochbeete gebaut, rollende Beete gestrichen, der Gemeinschaftsraum neu dekoriert, ein Beerengarten und ein mit dem Rollstuhl befahrbarer Barfußweg angelegt und zum Abschluss sogar eine gemeinsame Messe gestaltet. Dass ältere Menschen „lebende Bücher“ sind und viel Interessantes zu erzählen haben, erfuhren die Jugendlichen bei einem Projekt mit BewohnerInnen von Seniorenheimen in Esternberg, Ried im Innkreis, Zell an der Pram, Schärding und Andorf. Sie stellten Video-, Foto- und Audioaufnahmen zusammen, in denen Lebens- und Zeitgeschichte einen Namen und ein Gesicht bekamen.
In der WEGE Wels, einer sozialtherapeutischen Einrichtung der Caritas, die unmittelbar aus der Haft entlassenen Menschen eine zeitlich begrenzte, betreute Wohnmöglichkeit bietet, legten Jugendliche gemeinsam mit den Bewohnern eine Kräuterspirale an. Dass Musik Menschen verbindet, erlebten Jugendliche und KlientInnen des Arcus Sozialnetzwerks in Haslach, die gemeinsam musizierten und als krönenden Abschluss ein Konzert gestalteten – die Umarmungen am Ende schildert Teilnehmer Samuel als „echten Gänsehaut-Moment“.
Im Jugendzentrum youX in Vöcklabruck wurde der bisherige Lagerraum als Jugendraum neu gestaltet. Auch das Jugendzentrum Plateau in Leonding erstrahlt in neuem Glanz. Die Kinder des Pfarrcaritaskindergartens St. Josef in Gallneukirchen freuen sich über einen neuen Wahrnehmungsparcours. Im Kindergarten Schwalbennest in Linz wurde der Gartenzaun mit den Kindern bunt bemalt. „Graskuchen“ und „Gatschpudding“ gibt es künftig im Integrativen Heilpädagogischen Kindergarten St. Isidor in Leonding, zubereitet in der neuen „Matschküche“. Im Waldkindergarten St. Oswald bei Freistadt bauten die Jugendlichen mit den Kindern Musikinstrumente und bauten Hochbeete.
Auch das „liebe Vieh“ kam bei den 72 Stunden nicht zu kurz. Im Evangelischen Diakoniewerk Gallneukirchen durften sich die Kühe über einen neuen Weidezaun freuen. Im Tierheim und Gnadenhof „Tierseelenhoffnung“ bauten die Jugendlichen einen „Catwalk“ zum Klettern für die über 100 Katzen, halfen während der Aktion fleißig beim Füttern und Ausmisten von Hühner-, Schweine- und Pferdestall und hatten natürlich auch Zeit für die eine oder andere Streicheleinheit für Esel, Schaf und Ziege.
Soziales Engagement mit Blick über den Tellerrand
In vielen Projekten haben Jugendliche tiefe Einblicke in Themen erhalten, die ihnen bis dahin fremd waren, und selbst einen Beitrag zu Bewusstseinsbildung anderer geleistet. In Linz gestalteten Jugendliche eine Radiosendung zum Thema „Armut“ und „Not im Inland“, die beim Freien Radio Freistadt und auf Radio FRO ausgestrahlt wird. „Die Radiosendung, die wir gestaltet haben, kann bestimmt etwas bewirken. Wir hoffen mit unserem Beitrag mehr Leute auf das Thema Armut und Not aufmerksam machen zu können und sie zum Nachdenken anzuregen“, so die Jugendlichen.
In Linz befassten sich Jugendliche intensiv mit dem Thema „Armut in Österreich“ und erstellten mehrsprachige Erklärvideos für die Sozialberatung der Caritas. Die Videos wurden von der Sozialberatung dringend gebraucht, um ihren KlientInnen das Ausfüllen eines Sozialhilfe-Antrags, das Thema Energiesparen oder das richtige Lesen einer Rechnung zu erleichtern. Da die KlientInnen der Sozialberatung aus vielen verschiedenen Ländern stammen, wurden die Videos von den SchülerInnen in Albanisch, Bosnisch, Spanisch, Englisch und Deutsch verfasst.
Im Stift Lambach gestalteten SchülerInnen der Handelsakademie drei „Wuzzler“, also Tischfußballtische, zu den Themen FairPlay, Klimagerechtigkeit und Sternsingeraktion. Die Spielfelder sollen stellvertretend für Konfliktlinien und Herausforderungen in unserer globalisierten Gesellschaft stehen: Arm und Reich, Miteinander und Gegeneinander, CO2-Ausstoß versus Klimaneutralität, Gewinner und Verlierer. Und: Sie weiten den Blick weg von Österreich auf die ganze Welt. Die Tische stehen in Kürze bei der Katholischen Jungschar der Diözese Linz gegen eine Gebühr im Verleih zur Verfügung. Der Erlös kommt den Projekten der Dreikönigsaktion zugute.
In den CARLA-Shops der Caritas in Linz und Braunau lernten Jugendliche die Arbeit mit Second-Hand-Ware kennen. Sie packten fleißig mit an, sortierten vorhandene Warenspenden und halfen beim Verkauf. Bei Workshops erfuhren sie Wissenswertes über Mode und Nachhaltigkeit. „Wir haben viel zu nachhaltiger Mode gelernt, das bewirkt auch etwas in uns selbst“, ist Tobias, einer der Teilnehmer, überzeugt.
In der Pfarre Kirchdorf an der Krems gestalteten SchülerInnen des BRG Hamerling Linz eine berührende Radiosendung rund um das Fremdvölkische Kinderheim in Spital am Pyhrn, die im Freien Radio B138 ausgestrahlt wurde. Auch auf dem Gelände des Instituts Hartheim setzten sich TeilnehmerInnen mit der Geschichte des heutigen Gedenkortes Schloss Hartheim auseinander und waren bereichert von den Begegnungen mit den Menschen mit Beeinträchtigung, die im Institut Hartheim leben.
In Linz organisierten Jugendliche eine Mittagstafel auf dem Linzer Domplatz für obdachlose und sozial benachteiligte Menschen. Als Einführung in das Thema führte Obdachlosenseelsorger Helmut Eder die SchülerInnen bei einem „Rundgang der Not“ durch die Stadt. Am Samstag wurden dann bei der Mittagstafel Nudeln mit Tomatensoße, Karottensalat, selbstgebackene Brownies und alkoholfreier Punsch an etwa 50 Gäste ausgegeben, die sich das mit Liebe zubereitete Essen schmecken ließen. „Das besondere Extra waren für mich die Gespräche bei der Essensverteilung“, erzählt Teilnehmerin Klara.
Kreativität, die staunen lässt
Kreativität und Einfallsreichtum waren in allen Projekten der „72 Stunden ohne Kompromiss“ gefragt. In einigen Projekten wurde die Kreativität auf besondere Weise sichtbar und hörbar gemacht. So organisierten SchülerInnen des BORG Schärding und der Musikmaturaklasse St. Ursula in Wien einen „Poetry Jam“ – eine Mischung aus Poetry Slam und Jam Session – im Linzer Mariendom. Initiiert wurde das 72 Stunden Projekt vom Verein „Aktion Leben“ in Kooperation mit der Diözese Linz und dem Jugendzentrum STUWE. Ziel war, Spendengelder für schwangere Frauen in Notlagen zu sammeln. Besonders freute die Jugendlichen, dass auch Bischof Manfred Scheuer unter den BesucherInnen war.
Der Diözesanbischof besuchte auch ein Projekt in der Jugendkirche Grüner Anker in Linz, bei dem Schülerinnen der 3. Klasse der HLA für Kunst, Mode und Design in Wien dem „Spiri-Tipi“ der Katholischen Jugend OÖ ein neues, künstlerisches Outfit verpassten. Dieses Tipi wird auf Veranstaltungen als Rückzugsort verwendet, findet aber auch bei der Festival-Seelsorge Verwendung. Nach einem Inspirationsbesuch beim Linzer Höhenrausch zum Thema „Paradies“ gingen die Jugendlichen, angeleitet von Künstlerin Helen Lösch, ans Werk. Gestaltet wurde das Tipi mit Naturmotiven und Sinnesorganen. Den Zusammenhang erklärt Lena so: „Eigentlich ist die Erde ja unser Paradies – aber wir nehmen das oft nicht mehr wahr. Unsere Aufgabe ist es, achtsam mit dem umzugehen, was wir haben.“ Begleitet wurden die Schülerinnen von ihrer Religionslehrerin Silvia Pfeifer-Hutter, die selbst von den „72 Stunden ohne Kompromiss“ begeistert ist und immer wieder mit SchülerInnen teilnimmt. Bischof Scheuer zeigte sich beeindruckt: „Ich bin überrascht und fasziniert von der Kreativität, die die jungen Menschen binnen kürzester Zeit an den Tag gelegt haben – sowohl bei den intellektuell anspruchsvollen Texten des Poetry Jam als auch bei der künstlerischen Gestaltung des Spiri-Tipi. Mir gefällt an den ‚72 Stunden ohne Kompromiss‘ besonders, dass hier unterschiedliche Talente und Charismen verbunden werden: Die kreativ-schöpferische Seite und die soziale Komponente gehen Hand in Hand.“
Das „Finale furioso“ der 72 Stunden ohne Kompromiss übernahm schließlich eine Jugendgruppe aus Bad Ischl: Sie organisierte und gestaltete am Samstag um 16.00 Uhr zum 10. Durchgang der Jugendsozialaktion einen Jubiläums-Flashmob auf dem Linzer Hauptplatz. Die Jugendlichen durften gemeinsam mit ihren ProjektpartnerInnen Julia Stöger und Benjamin Völk ein Thema für den Flashmob bestimmen, die passende Musik aussuchen und sich eine Choreografie dazu überlegen. Nach zwei Tagen Einsatz, Kreativität und Spaß war die Choreografie fertig geprobt. Ein Lernvideo wurde aufgenommen, das dann an alle oberösterreichischen TeilnehmerInnen der „72 Stunden“ geschickt wurde. Die Spannung stieg, bis am Samstag etwa 50 Personen auf dem Linzer Hauptplatz nach dem offiziellen Countdown von Ö3 das Ende von „72 Stunden ohne Kompromiss“ 2021 eintanzten. Zum Lied „Wild & Free“ von Lena Meyer-Landrut wurde mit Begeisterung die Gemeinschaft, die während der Jugendsozialaktion entstanden ist, gefeiert. Wer den Flashmob verpasst hat: Er kann unter https://www.kj-ooe.at/72h nachgesehen werden.
Fazit: Eine gelungene Jubiläums-Ausgabe
Judith Zeitlhofer MSc, Projektkoordinatorin für die Katholische Jugend OÖ und Gesamtverantwortliche, ist müde, aber überglücklich über das Ergebnis: „Die Vorbereitungen waren heuer coronabedingt doch intensiver als in den letzten Jahren. Deshalb freue ich mich jetzt umso mehr über die gelungenen ‚72 Stunden ohne Kompromiss‘ 2021, über die wunderschönen Begegnungen und über die berührenden Erlebnisse, die ich auch heuer wieder bei der Aktion erleben durfte. ‚72 Stunden ohne Kompromiss‘ geht unter die Haut. Es ist toll, mitanzusehen, welche zuerst scheinbar unlösbaren Herausforderungen die jungen Menschen mit Bravour bewältigen, welche Freundschaften innerhalb von kurzer Zeit entstehen und wie viel Energie und Tatendrang im Projektzeitraum spürbar wird. Heuer wurde besonders deutlich, wie wichtig die gemeinsame Zeit für die verschiedenen Schulklassen war – sie sind als Klasse besser zusammengewachsen, haben sich als Team kennen gelernt und haben gemeinsam viel geleistet und geschafft. Das schweißt auf jeden Fall zusammen!“
Auch Karin Kurowski, Leiterin der youngCaritas in Oberösterreich, zieht eine höchst positive Bilanz: „Wir von der youngCaritas kamen bei unseren Projektbesuchen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus! Das Motto „Wir mischen mit“ haben die Jugendlichen fast inhaliert und innerhalb von nur 72 Stunden unsere Caritas-Standorte aufgemischt und unglaubliche Projekte auf die Beine gestellt. Die TeilnehmerInnen haben die Herausforderungen mit Bravour gemeistert und blitzschnell auch die Herzen der Menschen vor Ort erobert. So viel Energie und Abwechslung bereicherte den Alltag und die Dankbarkeit war richtig spürbar. Strahlende Gesichter und einzigartige Begegnungen waren die Folge. In diesem Sinne ein großes Dankeschön an alle Beteiligten!“
Alle Bilder zum Download und ausführliche Projektberichte & Online-Zeitung unter https://www.kj-ooe.at/72h